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Hühnergeschichten

Die Hühnerentführung – Ein Ratekrimi zu Ostern

„Was machst du da eigentlich?“ Inspektor Hubert drehte sich etwas ungeschickt im Schreibtischsessel um und warf seiner Praktikantin Lilli einen fragenden Blick zu. Das Mädchen mit dem gelockten braunen Haar und den Sommersprossen hatte es sich in einer Ecke des kleinen Büros gemütlich gemacht und war damit beschäftigt, weiße Hühnereier mit bunter Farbe zu bemalen. Ohne aufzusehen erwiderte sie: „Ostereier, das werden Sie ja wohl erkennen.“

Verwirrt runzelte der Inspektor die Stirn und überlegte. „Ich meinte ja nur, weil wir doch gerade mitten in unserer Arbeitszeit sind“, meinte er nachdenklich. Der Sessel knarzte ein wenig unter seinem Gewicht und er drehte sich sicherheitshalber wieder zurück Richtung Tisch.

Nun sah Lilli doch auf und antwortete betont langsam: „Aber nur, weil wir in unserer Arbeitszeit und im Büro sind, heißt das nicht, dass wir arbeiten. Seien Sie doch einmal ehrlich zu sich selbst: Das ist ein kleines Dorf. Das ist eine kleine Polizeistation. Und wenn es einen Fall gibt, bekommen den nicht Sie.“ Bedauernd fügte sie noch hinzu: „Und daher leider auch nicht ich.“

Inspektor Hubert nahm sich schnell eine alte Akte und blätterte sie scheinbar konzentriert durch, um beschäftigt zu wirken. Dann hielt er inne und antwortete: „Weißt du, das läuft hier so: Alle wissen, dass ich ein Profi bin. Deshalb wurdest du ja auch mir als Praktikantin zugeteilt.“ Stolz blickte er das Mädchen an. Lilli verdrehte die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust: „Ich wurde Ihnen als Praktikantin zugeteilt, weil die mich für genauso nutzlos halten wie Sie.“

Der Inspektor schien kurz über die Worte nachzudenken und schüttelte dann entschieden den Kopf. „Nein, also da hast du eindeutig was falsch verstanden. Man hat mir versichert, dass man nur mir die ehrenwerte Aufgabe zutraut, dich in die Polizeiarbeit einzuführen. Und außerdem: Gerade letzte Woche hatten wir doch einen Fall. Sogar einen ziemlich großen!“ Zufrieden, dass ihm das wieder eingefallen war, lehnte sich der Inspektor im Sessel zurück.

Lilli war gerade dabei, einem Osterei grüne Punkte zu verpassen. In einem Körbchen neben ihr lagen schon einige bunt glänzende Eier. Grinsend blickte sie auf und fragte trocken: „Meinen Sie mit >großer Fall< etwa, als wir am Donnerstag herausfinden sollten, wer das Jausenbrot von Inspektor Thomas gestohlen hat? Das Jausenbrot, das seine Frau vergessen hatte, ihm einzupacken?“

„Hm, jetzt wo du es sagst, war das vielleicht wirklich kein so großer Fall. Aber er war sehr dankbar, als wir es herausgefunden haben“, stellte Inspektor Hubert stolz fest. „Ja, aber erst, nachdem Sie die gesamte Polizeistation befragt hatten!“, antwortete Lilli kopfschüttelnd.

Der Inspektor runzelte wieder die Stirn und wollte gerade etwas erwidern, als plötzlich die Tür aufging. Hubert zuckte zusammen und griff reflexartig nach einem Buch, das er rasch aufschlug. Lilli machte sich nicht die Mühe, sondern malte gemütlich weiter Ostereier an. Ihr Chef hatte den Raum betreten und nickte der Praktikantin freundlich zu. Dann wandte er sich an Hubert, der vorgab, höchst vertieft in die Lektüre des Buches zu sein. Der Chef musterte ihn einen Moment, dann begann er zu erklären: „Ich habe einen Fall für euch beide.“ Nun wurde Inspektor Hubert neugierig: „Einen Fall? Natürlich übernehmen wir den gerne. Worum geht es denn?“ Lilli glaubte, ein Grinsen auf dem Gesicht ihres Vorgesetzten zu erkennen, während dieser antwortete: „Es geht um eine Entführung. Und eine Erpressung. Und das am Tag vor Ostern!“

Huberts Gesicht wurde vor Aufregung ganz rot. „Wir übernehmen den Fall auf jeden Fall!“ Lilli konnte nicht ganz glauben, dass sie tatsächlich einen so spannenden Fall zugeteilt bekommen hatten. Misstrauisch beobachtete sie, wie der Chef eine Mappe mit aktuellen Informationen auf den Tisch legte und sich zum Gehen wandte. „Also dann viel Spaß mit eurem Fall“, wünschte er den beiden verblüfften Detektiven und öffnete die Tür. Kurz bevor er den Raum verließ, zwinkerte er noch Hubert zu: „Das Buch halten Sie übrigens verkehrt herum, mein Lieber.“ Der Inspektor wurde knallrot und klappte das Buch rasch zu. Dann sprang er auf, so schnell das mit seiner pummeligen Statur möglich war, und tanzte kurz im Raum herum. „Wir haben einen Fall! Wir haben einen Fall!“, sang er fröhlich und zog sich währenddessen seinen Mantel an.

Lilli hatte währenddessen das Eierbemalen unterbrochen und war zum Tisch hinübergegangen. Zweifelnd schlug sie den Ordner auf und verzog nach kurzem Lesen das Gesicht: „Inspektor Hubert? Die nehmen uns einfach nicht ernst. Ja, wir haben einen Fall. Und ja, es geht sogar um eine Entführung und um eine Lösegeldforderung. Aber es geht nicht um einen Menschen. Es geht um ein Huhn!

Ungefähr eine halbe Stunde später kamen Hubert und Lilli auf dem kleinen Ostermarkt des Dorfes an. In dem winzigen Örtchen lag der Markt zwar nur wenige Straßen von der Polizeistation entfernt, aber da der Inspektor nicht zu Fuß gehen wollte und weder ein Auto noch einen Führerschein besaß, hatte seine Praktikantin ihn auf dem Moped mitnehmen müssen. Damit hatten sie dann aber das empfohlene Maximalgewicht überschritten, sodass Lilli sich nicht getraut hatte, schneller als Schrittgeschwindigkeit zu fahren. „Uff, ich weiß doch, warum ich keine Mopeds und auch keine Fahrräder mag. Eigentlich mag ich gar nichts, was Räder hat“, stöhnte der Inspektor, während er vom Sattel stieg. Lilli musste schmunzeln und überlegte kurz, wie er denn sonst von A nach B kam, wenn er nicht zu Fuß gehen wollte und keine Gefährte mit Rädern mochte.

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„Also dann, auf zum größten Fall aller Zeiten!“, meinte Hubert und rieb sich voller Vorfreude die Hände. Lilli musste grinsen und wunderte sich darüber, wie euphorisch der Inspektor war, obwohl es doch nur um ein Huhn ging. „Also ich hatte schon größere Fälle mit meinem Detektivclub. Im Kindergarten“, stellte sie fest und begleitete Hubert zum Eingang des Ostermarktes.

„Na, das glaube ich aber nicht. Du weißt doch, dass die Hühnerausstellung mit Wettbewerb das Highlight des Jahres ist! Hier werden die schönsten und wertvollsten Hühner gezeigt! Und wenn eines von ihnen entführt wurde, ist das eine ernstzunehmende Sache!“ Lilli sah den Inspektor von der Seite an und schmunzelte erneut. Hubert brannte richtig für diesen Fall.

„Hm, ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass Hühner schön und wertvoll sein können, aber bitte. Machen wir eben unseren Job“, beschloss Lilli und folgte Hubert durch die Menge. Hier war ganz schön etwas los: Zahlreiche Stände standen dicht an dicht. Frisches Obst und Gemüse, Eier, Käse, Milch, Blumen, Osterschmuck, Palmkätzchen, Gestecke und Osterstriezel wurden von gut gelaunten Marktleuten angepriesen. Menschen saßen auf Heuballen nebeneinander, plauderten und genossen frischen Kaffee und Ostergebäck. Kinder liefen lachend herum und schmusten mit den Tieren im Streichelzoo. Lilli schloss kurz die Augen und erinnerte sich daran, wie sehr sie selbst diesen Markt geliebt hatte, als sie klein gewesen war. Alle waren so fröhlich und die Blumen dufteten herrlich.

„Oh, entschuldige!“ Die kleinlaute Stimme Huberts riss Lilli aus ihren Gedanken. Der Inspektor hatte versucht, sich zwischen einem Stand und einer Menschenansammlung durchzuzwängen und dabei eine Kiste mit frischen Äpfeln auf den Boden gestoßen. Diese kullerten nun quer über den gesamten Markt und Lilli fragte sich, wie ein so tollpatschiger Mann eigentlich Inspektor hatte werden können. Natürlich half sie aber sofort, die Früchte einzusammeln. Einige Stück fehlten noch, da meinte Hubert zu dem Apfelverkäufer: „Wir müssen jetzt leider weiter. Hier hat eine Entführung stattgefunden!“

Lilli verdrehte die Augen, weil der Inspektor so dick auftrug. Dieses Gerücht würde sich binnen Minuten im gesamten Dorf verbreiten. Die Augen des Verkäufers weiteten sich: „Eine Entführung?“ „Mit Lösegeldforderung“, fügte der Inspektor stolz hinzu und machte sich auf den Weg zum Zelt, in dem die Hühnerausstellung stattfand. „Mit Lösegeldforderung?“, hörte Lilli den Verkäufer aufgeregt fragen. In Gedanken verbesserte sie sich: Es würde nicht Minuten, sondern nur Sekunden dauern, bis das ganze Dorf Bescheid wusste.

„Seit vier Jahren bin ich ungeschlagen. Meine Hühner sind die schönsten und besten im ganzen Ort. Ich habe schon in allen Kategorien gewonnen: Die hübschesten Federn, die beeindruckendsten Farben, der eleganteste Körperbau, die am schönsten geformten Eier. Meine Tiere sind weithin bekannt. Sogar in anderen Orten hat man schon von meinen besonderen Hühnern gehört. Und dieses Jahr hätte ich den Wettbewerb zum fünften Mal in Folge gewinnen sollen. Nur dann bekomme ich nämlich den Ehrentitel für den besten Hühnerzüchter im ganzen Ort. Verstehen Sie, ich habe diese Auszeichnung verdient und heute wäre ganz bestimmt meine Henne zum schönsten Tier der ganzen Ausstellung gewählt worden. Es gibt keinen Zweifel, dass auch dieses Jahr meine Hühner die besten hier sind. Haben Sie sich einmal die anderen Hühner hier angeschaut? Ich meine, das sind ja alles wirklich zweitklassige Tiere. An meine Hühner kommen die sicher nicht heran. Mein Huhn…“

„Ähm, ja, genau deshalb sind wir hier. Wegen des Huhnes. Wir wollten eigentlich von Ihnen wissen, was genau denn überhaupt passiert ist, Herr Scheller“, unterbrach Lilli den Monolog des wie ein Wasserfall redenden Züchters, was diesen völlig aus dem Konzept brachte. Der kleine, schlanke Mann betrachtete die Praktikantin erstaunt, als würde ihm erst jetzt wieder bewusst werden, dass der Inspektor und das Mädchen ihm eine Frage gestellt hatten. Hubert und Lilli warfen sich vielsagende Blicke zu. Das Selbstbewusstsein des Züchters war eindeutig ausgeprägter als seine Fähigkeit, beim Reden zum Punkt zu kommen.

„Mein bestes Huhn, meine schöne Frieda wurde gestohlen. Nur diesen Zettel habe ich gefunden. Ein hinterhältiger Dieb muss sie geklaut haben und jetzt will er Lösegeld für sie“, erklärte Herr Scheller verzweifelt und hielt dem Ermittlerteam ein zerknittertes Blatt Papier unter die Nase. Dann wandte er sich ab und Lilli meinte, ihn schluchzen zu hören. „Keine Sorge, wir finden sie schon“, versuchte Hubert, den Züchter zu beruhigen. Es war unübersehbar, dass ihn die Begeisterung für einen derartig spannenden Fall gepackt hatte. Allerdings musste auch Lilli, spätestens nachdem sie den Zettel begutachtet hatte, zugeben, dass dies ein interessanter Tag werden könnte.

„wenn sie ihr HUhN jemals widersehen wollen, dan ZaLen sie 1000€ und verstecken sie das Geld In dem alten BAum hinter dem Parkplatz. Sie haben ZEIt bis um 17 Ur“, stand dort in verschnörkelter Handschrift geschrieben. Lilli runzelte die Stirn und stellte erst einmal fest: „Also von Rechtschreibung hat der Typ aber echt noch nichts gehört.“

Herr Scheller schnaubte entrüstet auf. „Das spielt doch jetzt keine Rolle. Sagen Sie mir lieber, was ich tun soll, um mein Huhn zurückzubekommen. Ich habe doch nicht so viel Geld, um meine Frieda zurückzukaufen. Erst mit dem Preisgeld könnte ich mir das leisten, aber wie soll ich das ohne meine Henne gewinnen?“, meinte der Züchter mit Tränen in den Augen. „Meine Frieda ist doch etwas ganz Besonderes. Sie ist eine wunderschöne Brahma-Henne, müssen Sie wissen. Noch nie habe ich eine so außergewöhnlich hübsche Henne gehabt und jetzt ist sie einfach weg. Gestohlen!“, jammerte Herr Scheller.

„Jetzt beruhigen Sie sich erst einmal“, versuchte der Inspektor zu beschwichtigen. „Genau, und sagen Sie uns bitte, wann denn der Diebstahl passiert ist und ob Ihnen etwas Besonderes aufgefallen ist“, übernahm Lilli das Reden und kassierte einen enttäuschten Blick von Hubert, der die Befragung wohl nicht seiner Praktikantin überlassen wollte.

Herr Scheller fischte in seiner Jackentasche nach einem Taschentuch und wischte sich damit ein wenig theatralisch über die Augen. „Also, heute Morgen bin ich mit meiner Frieda hier angekommen. Wie jedes Jahr habe ich meine Henne in dem großen Käfig da hinten transportiert“, begann der Züchter zu erzählen und deutete auf die nun leere Box auf dem Tisch, in der wohl sonst die Hühner präsentiert wurden. Zumindest konnten Hubert und Lilli in den Käfigen der anderen Züchter und Züchterinnen in dem riesigen Zelt prächtige Tiere entdecken. Während Herr Scheller weiter berichtete, ließ Lilli ihren Blick durch die Menge schweifen. Insgesamt elf Tische mit ausgestellten Hühnern konnte sie ausmachen. Die Züchter und Züchterinnen standen stolz daneben und plauderten mit den Besuchern, die fasziniert die schönen Tiere bewunderten.

„Ich war schon recht früh da. Die Aussteller müssen nämlich eintreffen, noch bevor der Markt um neun Uhr geöffnet wird. Ich war kurz nach acht Uhr hier. Um etwa halb neun waren dann alle Züchter eingetroffen, wenn ich mich richtig erinnere“, erzählte Herr Scheller und legte eine kurze Redepause ein.

„Und wann wurde dann Ihr Huhn gestohlen?“, wollte Hubert wissen, der einen kleinen Block aus seiner Tasche geholt hatte und mit einem winzigen Bleistift darauf herumkritzelte.

Der Züchter schien scharf nachzudenken. „Da noch Zeit blieb, bis die ersten Besucher kamen, bin ich mit zwei meiner Kollegen aus dem Zelt gegangen und wir haben ein bisschen geplaudert. Wir haben uns länger nicht gesehen und hatten uns viel zu erzählen“, fuhr er fort, „und als ich zurückkam, war meine Frieda weg. Ich habe dann nur den Zettel in ihrem leeren Käfig gefunden.“

„Und haben Sie eine Idee, wer Ihr Huhn gestohlen haben könnte?“, erkundigte sich Inspektor Hubert.

„Waren in der Früh nur die Züchter und Züchterinnen im Ausstellungszelt?“, warf Lilli ein und erntete erneut einen verärgerten Blick ihres Begleiters. Da bekam er einmal einen spannenden Fall und dann übernahm die unerfahrene Praktikantin ungefragt das Reden! Der Züchter schaute ein wenig verwirrt von Lilli zu Hubert und wieder zurück. Anscheinend schien auch ihm nicht ganz klar zu sein, wer hier eigentlich das Sagen hatte. Schließlich entschied er sich für das Mädchen und antwortete nachdenklich: „In der Früh waren ganz sicher nur jene Personen im Zelt, die sich für den Wettbewerb angemeldet haben. Es wird streng kontrolliert, dass nur die Züchter und Züchterinnen hier reinkommen und alles vorbereiten können.“

Lilli sah sich im Zelt um und dachte scharf nach. Wenn es stimmte, was der bestohlene Züchter sagte, dann hatten sie 9 Hauptverdächtige: Insgesamt waren 12 Teilnehmer und Teilnehmerinnen angemeldet. Herr Scheller abgezogen gab es 11. Noch einmal die zwei Bekannten des Züchters abgezogen ergab 9. „Also wenn mich nicht alles täuscht, sollten wir zuerst einmal die Teilnehmer und Teilnehmerinnen befragen“, stellte die Praktikantin fest und merkte, dass auch sie langsam in Fahrt kam.

„Das wollte ich auch gerade sagen“, fügte Inspektor Hubert schnell hinzu und ließ seinen Blick mit zusammengekniffenen Augen durch den Raum wandern. „Wir beginnen mit dem Mann dort hinten, der als Einziger einen Anzug trägt. Also wenn das Outfit nicht verdächtig ist! Und seht doch mal, wie er versucht, ganz unauffällig mit seinem Gegenüber zu reden. Mich täuscht der nicht!“ Kurz bevor Hubert entschlossen losstapfen konnte, hielt Lilli ihn lachend zurück: „Bitte befragen Sie ihn nicht! Das ist nicht einmal ein Züchter! Das ist der Bürgermeister, der den Sieger küren wird!“ Huberts Gesicht färbte sich innerhalb weniger Augenblicke knallrot und er stammelte: „Das… das weiß ich natürlich. Das war doch nur ein Witz!“

Auch Herr Scheller konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Wenn es Ihnen etwas hilft: Ich kenne fast alle Hühnerzüchter des Ortes. Keinem von denen würde ich zutrauen, mir derart schaden zu wollen. Fangen Sie lieber mit den drei Neuen an der Stirnseite des Zeltes an. Die haben sich dieses Jahr zum ersten Mal angemeldet, sollen aber sehr gute Züchter sein. Vielleicht wollen die um jeden Preis gewinnen und deshalb verhindern, dass Frieda wieder gewinnt!“ Als er den Namen seines Huhnes erwähnte, zuckte der Mann zusammen und schluchzte einmal theatralisch.

„Danke für den Hinweis. Wir bringen Ihr Huhn wieder zurück, keine Sorge“, versprach Lilli und verschwand im Gedränge. Inspektor Hubert schnaufte und schob sich hinterher.

Auf der anderen Seite des Zeltes befanden sich drei Tische, an denen die Zahlen 10, 11 und 12 angebracht waren. Das mussten die Teilnehmer sein, die dieses Jahr zum ersten Mal dabei waren. Es handelte sich um eine junge Frau mit blondem hochgestecktem Haar, einen älteren Herrn mit Brille und Schnauzbart und einen Mann mittleren Alters mit einem braunen Pferdschwanz. „Guten Tag, wir…“, setzte Lilli an, doch Inspektor Hubert kam in dem Moment an und unterbrach sie: „Guten Tag, wir sind von der Polizei. Wir müssen Sie befragen. Es geht um einen höchst wichtigen Fall, mit dem ich betraut wurde. Sie werden sicher verstehen, dass ich die genauen Umstände geheim halten muss…“ Lilli sah den Inspektor ungläubig an. Vorher verkündete er draußen, was vorgefallen war, und nun spielte er den Geheimnisvollen?

„Kommen wir zur Sache. Wir werden Ihnen nacheinander ein paar Fragen stellen und Sie werden wahrheitsgemäß antworten, verstanden?“ Lilli warf den verdutzten Personen einen strengen Blick zu und fühlte sich wie eine richtige Kommissarin. „Also ich werde mich sicher nicht von einem kleinen Mädchen und einem…“ Der Mann mit dem Pferdeschwanz, der das Wort ergriffen hatte, suchte nach der passenden Bezeichnung für den schnaufenden Inspektor.

„Wagen Sie ja nicht, mich zu beleidigen“, stellte Hubert klar und fixierte den unhöflichen Mann. „Wenn Sie nichts zu verbergen haben, dann brauchen Sie sich auch nicht so aufzuführen“, fügte Lilli hinzu. Ihr Kollege grinste sie an und die beiden fühlten sich zum ersten Mal an diesem Tag, oder vielleicht zum ersten Mal, seit Lillis Praktikum begonnen hatte, wie ein Team.

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Wenig später begannen sie mit dem Verhör des Mannes. „Wie heißen Sie und warum sind Sie heute hier?“, eröffnete der Inspektor das Gespräch. „Mein Name ist Mark Thürer und ich bin heute hier, um meine Hamburger-Henne Elfriede zu präsentieren“, antwortete Herr Thürer in immer noch genervtem Tonfall. Mit der Hand wies er auf ein besonders schönes, strahlend weißes Huhn in seinem Käfig. „Aha, sind Sie schon lange Züchter?“, wollte nun Lilli wissen. „Ja, schon sehr lange. Ich züchte schon, seit ich ein kleiner Junge bin.“

Das Huhn hob den Kopf und gab ein gackerndes Geräusch von sich, als wollte es etwas hinzufügen. „Sind Sie sich sicher?“, hakte der Inspektor nach. „Ihr Huhn scheint anderer Meinung zu sein.“ Herr Thürer räusperte sich und blickte sich leicht nervös um. Dann senkte er die Stimme: „Also, wenn ich ehrlich bin… Nein, ich habe erst letztes Jahr mit der Zucht begonnen, aber ich träume schon lange davon, den Wettbewerb zu gewinnen. Mein Großvater hat mich immer mit hierher genommen und ich dachte mir schon damals, dass es toll sein muss, einmal auf dem Siegerpodest zu stehen.“ „Hm, ich verstehe“, antwortete Hubert und warf Lilli einen vielsagenden Blick zu. „Wissen Sie, wie eine Brahma-Henne aussieht?“, wollte Lilli unvermittelt wissen. Herr Thürer wurde ein wenig rot und schüttelte dann den Kopf.

„Waren Sie heute Morgen im Zelt? Haben Sie etwas Auffälliges beobachtet?“, fragte Hubert mit bohrendem Blick. „Ja, so wie alle Teilnehmer war ich schon recht früh hier. Auffällig erschien mir eigentlich nichts. Naja, einige Züchter haben sich verstohlen umgesehen, aber das ist wahrscheinlich normal, um die Konkurrenz auszukundschaften.“ „Danke für Ihre Geduld“, schloss Lilli das Gespräch und wandte sich an den älteren Herrn, der gerade den Käfig seiner Henne polierte.

„Guten Tag, wie lautet denn Ihr Name?“, erkundigte sich Inspektor Hubert. Der Mann schaute auf und stellte sich mehr oder weniger höflich vor: „Ich heiße Tom Bauer. Mich würde wirklich interessieren, was Sie von mir wollen.“ „Das kann ich Ihnen ganz klar sagen: Hier hat ein Verbrechen stattgefunden. Eine Henne wurde gestohlen und…“, begann Hubert eifrig, doch Lilli stieß ihn unauffällig mit dem Ellbogen an und er verstummte. „Haben Sie eine Henne gestohlen?“, setzte der Inspektor erneut an und Lilli verdrehte die Augen. Kein normaler Mensch würde mit „ja“ antworten. „Nein, natürlich nicht.“ Herr Bauer lachte und rückte seine Brille zurecht. „Wieso sollte ich denn ein Huhn stehlen? Ich habe ja meine eigenen“, meinte er und zeigte auf die Henne im Käfig. Das Tier darin besaß prächtiges pechschwarz glänzendes Gefieder und einen gelben Schnabel. „Diese Sulmtaler-Henne heißt Jacky und ist mein ganzer Stolz. Gegen sie kommt ohnehin niemand an.“

„Und warum nehmen Sie am Wettbewerb teil?“, wollte Lilli neugierig wissen. Der ältere Mann lächelte sie freundlich an und erwiderte: „Mein Kind, ich züchte schon fast mein Leben lang Hühner. Das ist eine riesige Leidenschaft von mir. Wenn ich für meine Mühe ausgezeichnet werde, weiß ich, dass sich alles ausgezahlt hat. Und ein bisschen Preisgeld kann auch nicht schaden.“ Er zwinkerte Lilli zu und wandte sich an Hubert. „Na, haben Sie sonst noch Fragen?“ Der Inspektor nickte zu Herr Scheller hinüber. „Kennen Sie diesen Mann?“, fragte er mit gerunzelter Stirn. „Leider nicht, ich bin neu hier“, antwortete Herr Bauer nach kurzem Überlegen. „Okay, vielen Dank“, sagte Lilli und ging hinüber zu der jungen Frau.

„Hallo, wie heißen Sie?“, eröffnete Hubert das Gespräch. Die Frau wirkte ein wenig steif und antwortete mit ernstem Gesichtsausdruck: „Mein Name ist Lydia Mertens. Ich weiß zwar nicht, was das hier soll, aber Sie können mir gerne Fragen stellen.“ „Danke für Ihre Mithilfe. Erzählen Sie mal, wieso Sie heute hier sind und seit wann Sie Hühner züchten“, forderte Lilli auf. „Hm, also ich brauche ganz dringend Geld. Unser Hühnerhof steht kurz vor dem Ruin und unsere einzige Chance ihn zu retten, ist es, diesen Wettbewerb zu gewinnen“, erklärte Frau Mertens ruhig. In den Köpfen der beiden Detektive ratterte es.

„Aha, und Sie würden alles dafür tun, Ihren Hof zu retten?“, fragte Hubert nachdenklich. „Ja, absolut alles. Meine Hühner liegen mir sehr am Herzen! Sehen Sie sich doch nur an, welch wundervolle Wesen das sind!“ Sie schaute hinunter zu dem weiß-schwarz gestreiften Huhn im Käfig. „Wussten Sie, dass Amrocks einen tollen Charakter haben und teilweise sogar zahm werden können?“ Ihre Augen glänzten begeistert und Lilli musste lächeln. Allerdings durfte sie sich nicht täuschen lassen. Schließlich hatte die Frau gerade zugegeben, für Ihre Hühner alles zu tun. Auch stehlen?

„Haben Sie heute bemerkt, dass sich ein Züchter seltsam verhalten hat?“, wollte Hubert wissen. Die Frau runzelte verwirrt die Stirn und schüttelte den Kopf. „Nein, also seltsam hat sich niemand verhalten. Nur der Mann da drüben ist mir aufgefallen. Der hat gar kein Huhn in seinem Käfig und wirkt ein wenig zerstreut.“ Lilli und Inspektor Hubert folgten dem Blick von Frau Mertens. Sie zeigte mit dem Finger auf Herr Scheller. Die beiden grinsten sich an. Das brachte sie auch nicht viel weiter. „Okay, vielen Dank für Ihre Mithilfe!“, beendete diesmal Hubert das Gespräch.

Schließlich zogen sich die beiden Detektive in eine ruhige Ecke des Zeltes zurück und tauschten ihre Überlegungen aus. „Also mir kommt diese Frau sehr verdächtig vor. Wenn sie sogar zugibt, zu allem bereit zu sein…“, meinte Hubert und wischte sich mit der Hand über die Stirn. „Naja, aber ein Motiv hätten alle“, erwiderte Lilli nachdenklich, „ich glaube, wir übersehen etwas.“ „Aber was?“, überlegte Hubert. „Das Wichtigste: Die Hühner!“, rief die schlaue Praktikantin plötzlich und zog ihr Handy aus der Tasche hervor. „Ich muss etwas googeln!“ Hubert verstand nur Bahnhof. Sie benötigten eindeutig die Hilfe von richtigen Hühnerfreunden.

Welcher der drei Teilnehmer hat Dreck am Stecken? Wer ist der Täter?

Wenig später war der Täter überführt und das gestohlene Huhn wieder bei seinem Besitzer. Herr Scheller bedankte sich unter Freudentränen bei den beiden Detektiven und schenkte ihnen frische Ostereier zum Dank. So stand einem perfekten Osterfest nichts mehr im Wege. Als das Team zur Polizeistation zurückkehrte, stichelten einige Kollegen: „Na, habt ihr die Hühner-Entführung aufklären können? Hatte es sich in seinem Nest versteckt?“, aber Hubert und Lilli hörten gar nicht hin. Sie hatten einen aufregenden Tag gehabt, und wer sagte denn überhaupt, dass ein Menschenleben mehr wert war als das eines Huhnes?


Lösung: Tom Bauer gibt sich als erfahrener Hühnerzüchter aus. Ein richtiger Experte müsste aber wissen, dass Sulmtaler-Hühner nur in den Farbschlägen Gold-weizenfarbig, Blau-weizenfarbig und Weiß vorkommen, nicht aber mit schwarzem Gefieder.

Von Melanie

Hallo! Mein Name ist Melanie und ich bin Studentin in Wien. Ich gehöre zu der Sorte Mensch, die es liebt, Neues zu lernen und Bücher verschlingt, anstatt sie nur einmal zu öffnen. Am liebsten sind das Bücher über Tiere und Natur – meine zweite große Leidenschaft neben dem Lesen. Ich stehe für eine artgerechte Tierhaltung und finde, jedes Geschöpf dieser Erde sollte wertgeschätzt werden, egal wie klein und unbedeutend es aussehen mag. Das meine ich übrigens wirklich so: Wenn ich einen Marienkäfer im Wasser finde oder eine Schnecke mitten auf der Straße, kann ich gar nicht anders, als die beiden schnell in Sicherheit zu bringen. So freut es mich ungemein, hier meine Liebe zur Natur und meine Begeisterung für die faszinierenden Hühner teilen zu können.

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